Es gibt ein Wort, mit dem ich in meinem Tätigkeitsumfeld zuverlässig Augenrollen auslösen kann. Manchmal witzele ich „Achtung, ich sage jetzt das T-Wort.“ – und dann grinse ich und sage: „Testen!“ Jeder Werbefachmensch wird Dir sagen – testen ist unerlässlich. Wir müssen „es“ testen. Und ja, wir alle wissen, dass unseren Kundinnen und Kunden dieser Satz zu den Ohren rauskommt ☺️ Vor allem, wenn wir Werbefachleute das ständig wiederholen und es gefühlt nie einfach mal genug getestet ist.

Und warum ist nie genug getestet?

Der Hauptgrund: weil jede neue Anzeige ein neuer Start ist. Auf das Thema „die Plattform kennt Dich schon“ gehe ich später nochmal gesondert ein. Jetzt schauen wir erst mal, was passiert, wenn eine neue Anzeige geschaltet wird. Die Anzeige ist aufgesetzt, alles ist definiert, wie wir es gerne haben möchten. Der Genehmigungsprozess ist ohne Probleme abgeschlossen, und die Auslieferung der Anzeige startet. Und genau dieser Moment startet zwingend einen Test.

Wie dieser Anzeigenstart tatsächlich abläuft

Stell Dir ein Fußballstadion vor. Dort drinnen sind nur Frauen aus Deutschland / Österreich / Schweiz im Alter von 25 – 45. Alle sind Mütter. Alle interessieren sich grundsätzlich für Erziehung. Das könnte eine sinnvolle Zielgruppe für Werbung sein, bei der es z.B. um Lern-Unterstützung geht. Und jetzt stell Dir Deine Anzeige als einen Flyer in den Händen eines Verkäufer vor. Er weiß: nur Frauen, alles Mütter … wie gerade beschrieben. Was macht er? Er hält seinen Flyer Monja unter die Nase, irgendwo muss er ja schließlich mal anfangen. Monja hat so überhaupt gar kein Interesse und dreht sich sofort weg. Unser Verkäufer notiert sich: Monja hatte Null Interesse. Gleichzeitig ermittelt er, was Monja noch so auszeichnet. Denn unser Verkäufer hat einen Röntgenblick und außerdem Zugriff auf zigundsiebzig Daten von allen Frauen, die in unserem Fußballstadion versammelt sind (denn in Wirklichkeit besteht er ja aus der Datensammlung und dem Algorithmus einer gigantischen Plattform, z.B. Meta oder Google). (Disclaimer: ich vereinfache hier stark – ich will, dass Du das Grundprinzip verstehst. Natürlich ist das alles noch wesentlich komplexer!) Monja liebt französische Opern, fährt einen BMW und isst gerne Steak. Das scheinen also Faktoren zu sein, die eher nicht passen. Also ist Andrea die Nächste. Andrea hört Country-Musik, liebt italienische Küche und hat zwei Hunde. Andrea guckt wenigstens kurz drauf. Ha, denkt unser Verkäufer, schon besser! Er sucht nach weiteren Frauen, die Andrea ähnlich sind. Ilse ist die Dritte, der er seinen Flyer anbietet. Ilse liebt ebenfalls Country-Musik und italienische Küche, zudem hat sie ein Pferd. Hurra – Ilse tut, was wir als Ziel unserer Anzeige festgelegt haben. Unser Verkäufer freut sich jetzt sehr, denn er will uns glücklich machen (dafür bezahlen wir ihn ja schließlich auch!). Er sucht sich also lauter Frauen, die Ilse möglichst ähnlich sind und zeigt denen unser Angebot. Jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten: 1.) Ilse war ein Glückstreffer. Dann … wird die Anzeige wenige und teure Ergebnisse bringen. 2.) Ilse passt so einigermaßen. Dann bekommen wir Ergebnisse, die okay sind, aber mehr auch nicht. 3.) Ilse ist ein Volltreffer! Dann bekommen wir supergeniale Ergebnisse und freuen uns ganz dolle. Gehen wir mal von einem Volltreffer aus.

Prima, das machen wir gleich nochmal!

Der Hauptfehler, der jetzt passiert, ist folgender: DIESE Anzeige hat bei Ilse JETZT ganz wunderbar funktioniert. Wenn wir kurz darauf eine neue Anzeige mit der gleichen Zielgruppe starten, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Ilse (und all die anderen Frauen, die ebenfalls taten, was wir uns wünschten) zunächst als Basis herangezogen werden. Nur ist das leider keine Garantie, dass wir wieder supergeniale Ergebnisse bekommen. Das kann der Fall sein, nur eben: no guarantee 🙂

Und warum klappt das jetzt nicht?

Unser Verkäufer weiß ja – Ilse und die ihr sehr ähnlichen Frauen waren im ersten Durchgang echt TOPP. Höchstwahrscheinlich zieht er also zuerst weitere Frauen heran, die dieser Gruppe möglichst ähnlich sind. Er zeigt seinen Flyer also Katrin. Die liebt italienische Küche, und Country-Musik hört sie täglich, wenn sie mit ihrem Hund unterwegs ist. Nur … sie winkt sofort ab. Tja, dann eben Sonja? Auch Sonja ist uninteressiert. Der Verkäufer prüft seine Datenbasis und findet heraus, dass Katrin und Sonja Parfüm lieben. Also schließt er ab sofort alle Parfüm-Fans aus. Am Ende kann es sein, dass wir bei dieser Anzeige Reaktionen von Frauen bekommen, die keine Parfüm-Fans sind, keine Haustiere haben, Country-Musik mögen und auf asiatische Küche stehen.

Bei Meta heißt die erste Phase der Anzeigen-Lebensdauer nicht grundlos „Lernphase“

Wenn eine Anzeige neu startet, muss sie zuerst Menschen finden, die tun, was wir als Anzeigenschalterinnen uns wünschen. Das bedeutet zwangsläufig, dass eine „Try and Error“-Phase am Anfang steht. Unser Verkäufer (oder auch: der Algorithmus des Systems, auf dem Du gerade Werbung schaltest) muss irgendwo anfangen und einfach mal fragen: „Interessiert Dich das?“ In dieser Lernphase entsteht eine erste Idee, wer GENAU die Menschen sind, die in unserem Sinne handeln. Auf diesen ersten Daten beruht dann die weitere Ausspielung unserer Anzeige. Was ich in meinem Beispiel sehr stark vereinfacht habe, macht der Algorithmus mit Hunderten oder sogar Tausenden von Informationen. Diese Anfangsphase gibt es bei jeder neuen Kampagne. Sie gehört einfach dazu. Und das ist einer der Hauptgründe, warum Anzeigen so unterschiedlich performen. Deswegen  haben wir bei Kampagne A super Ergebnisse, bei der Kopie Kampagne B dann na ja … C läuft noch besser als A, und D … stürzt total ab.

Was bedeutet das für die Praxis?

Es bedeutet: wir testen. Wir schauen uns die Ergebnisse jeder Kampagne genau an und entscheiden von Fall zu Fall, was wir jetzt tun können (oder ob wir einfach noch ein Weilchen länger stillhalten sollten). Natürlich stellen wir dabei Trends fest, und die testen wir dann weiter aus. Wenn wir eine gut laufende Anzeige haben, analysieren wir sie genau und überlegen, was wir auf die nächste Anzeige übertragen können. Und wenn möglich, lassen wir die gut laufende Anzeige so lange laufen, wie es geht (irgendwann ist unser Verkäufer im Stadion schon ganz gut rumgekommen und hält dann immer wieder den gleichen Frauen seinen Flyer vor die Nase – das finden die dann eher langweilig. Im Fachsprech: dann steigt die sogenannte Frequenz, und das kann bei vielen Anzeigen der Grund sein, warum der Preis steigt).

Und wenn die Plattform mich schon sehr gut kennt?

Falls Du schon jahrelang Werbung schaltest (oder ein hohes Werbebudget hast), lernt der Algorithmus der jeweiligen Plattform Dich, Dein Angebot und Deine Daten natürlich immer besser kennen. Das hat einen positiven Einfluss auf Deine Ergebnisse – denn unser Verkäufer hat dann beim Start der Kampagne schon eine ziemlich gute Idee, wo er die von Dir gewünschten Ergebnisse am günstigsten herbekommt. Garantiert Dir das den Erfolg jeder Kampagne? Du ahnst es vermutlich schon – nö. Es gibt so viele Faktoren, die alle zusammen auf die Werbeergebnisse einwirken … Du hast einen spürbaren Vorteil, mehr leider nicht. Unterschätze diesen Vorteil nicht, doch erwarte andererseits auch nicht, dass er Dir eine Erfolgsgarantie bringt.

Was kannst Du tun, um diese Effekte möglichst gut für Dein Business und Dich zu nutzen?

  • Das Wichtigste zuerst: akzeptiere, dass Testen unumgänglich und nötig ist. Plane und kalkuliere es mit ein. Es gehört zum Prozess einfach dazu.
  • Wenn Du eine richtig gut laufende Kampagne hast, lasse sie so lange es geht weiterlaufen. Geht natürlich nicht, wenn Du etwas Termingebundenes bewirbst – doch es gibt ja genug Angebote, die nicht an Termine gebunden sind.
  • Lerne. LERNE! Jede, wirklich jede Kampagne verrät Dir Details, die Du in Zukunft nutzen kannst. Schau Dir diese Daten an und ziehe Deine Schlüsse daraus. Auch wenn Du gefühlt nur Schrott raus bekommst – schau es Dir genau an.
  • Testen ♥️ (komm, Dir war klar, das würde hier auftauchen ♥️). Teste Zielgruppen, Platzierungen, Creatives … Ja, Du darfst Dich da auch austoben und einfach mal was ausprobieren, was Dir schräg oder komisch vorkommt (solange die Werberichtlinien und Dein innerer moralischer Kompass nix dagegen haben – machs einfach! Wir WOLLEN ja testen – und da dürfen auch mal unkonventionelle Ansätze ran).
  • Bleib dran. Auch mit kleineren Budgets kannst Du etwas erreichen. Hier gilt: „Von nichts kommt nichts“ – auch 2 oder 3 Euro am Tag können Dir schon jede Menge Erkenntnisse liefern.

Wie unterscheiden sich Meta und YouTube an dieser Stelle?

Grundsätzlich erst mal kaum … denn Testen ist auf beiden Plattformen einfach integraler Bestandteil unserer Aktivitäten. Allerdings kann die Testphase sehr unterschiedlich lang sein und auch die Lebensdauer von Anzeigen kann sich gravierend unterscheiden. Noch mehr Unterschiede zwischen Meta und YouTube findest Du übrigens in meinem kostenlosen E-Book „Meta vs YouTube: Deine smarte Entscheidungshilfe für mehr Werbeerfolg„!

Die Länge der Testphase

Dass der Algorithmus erst mal „irgendwo an irgendwen“ ausspielt, ist auf beiden Plattformen gleich. Meistens hat Meta hier die Nase vorn und bringt schneller erste Ergebnisse. In diesem Zusammenhang hörst Du dann vielleicht den Begriff „low hanging fruits“. Das bedeutet: Meta ist ziemlich gut darin, erst mal die Ilses für Deine Anzeige zu finden. Leider brechen viele Anzeigen auf Meta auch recht schnell ein, die Ergebnisse werden teurer und teurer. Auf YouTube dauert es häufig länger und kann ziemlich frustrierend sein. Dort braucht der Algorithmus oft mehr Zeit / mehr Infos, bevor die Anzeigen beginnen Spaß zu machen. Oft liefert YouTube längerfristig die besseren Ergebnisse. Das ist vor allem eine qualitative Aussage! Denn z.B. Leads sind of YouTube oft teurer, zumindest im ersten Moment. Wenn aus den teureren Leads mehr Kunden für Dich werden, relativiert sich das ganz schnell.

Die Lebensdauer von Anzeigen

Hier liegt ein Hauptunterschied zwischen den beiden Plattformen. Wenns schnell gehen soll und darf: Meta. Wenn wir was Längerfristiges aufsetzen wollen: lass uns über YouTube sprechen. Denn auf Meta verteuern sich Anzeigen leider in vielen Fällen sehr schnell. Dann hilft nur – neu aufsetzen. Und damit wieder in eine neue Testphase gehen, mit allen Chancen und Risiken. Auf YouTube hingegen brauchen wir am Anfang Geduld. WENN wir dann ein Setting haben, das funktioniert … dann haben wir meistens eine Anzeige, die ziemlich lange laufen kann. Wir können dann noch optimieren (OHNE mit dieser Anzeige wieder in die Testphase einzutreten) und wir dürfen dann erst mal eine Runde ernten. Übrigens ist diese „Ruhezeit“ perfekt dafür geeignet, neue Anzeigen zu testen.   Na, versöhnt Dich das ein wenig mit dem Augenroll-Wort „Testen“? Ich hoffs doch mal sehr – denn: es geht nun mal nicht ohne. Lass uns das Testen spielerisch(er) angehen, dann kann das richtig spannend sein. Wie reagierst Du auf „das müssen wir testen!“? Und: glaubst Du, das könnte jetzt – nachdem Du diesen Artikel gelesen hast – ein wenig anders sein?

Frauke Schramm