Zur Zeit werde ich immer wieder einigermaßen nachdenklich, wenn ich durch meine Timeline scrolle. Der Ton ist an vielen Stellen rauh, sogar ruppig. Schon einige Male kamen Posts, die über entsprechende unerfreuliche Begegnungen erzählten.

Manchmal – an besonders merkwürdigen (vielleicht auch leicht masochistischen …) Tagen lese ich Kommentare bei politischen Facebook-Seiten. Oder bei Menschen, die politische Statements posten. Und ehrlich – es ist egal, ob ich diese Meinung nun teile oder nicht, es ist immer ein Haufen Kommentare dabei, bei denen ich nur den Kopf schütteln kann.

Der konkrete Anlass – was ist passiert?

Neulich hat es eine liebe Facebook-Freundin erwischt, die lieber anonym bleiben möchte (ich hätte sie sonst selbstverständlich hier verlinkt).

Als sie sich gegen unfaire öffentliche Kritik wehrte, kam die lapidare Antwort „wir sind hier auf Facebook“ (ebenfalls öffentlich). Das las ich in einem Post von ihr – und startete innerlich durch. WTF?

Nachdem ich den inneren Turbo wieder eingefangen hatte, fing ich an, über diesen Satz nachzudenken. Ganz ehrlich? Die Aussage dieses Satzes geht gegen Null. Erstens ist es eine Binsenweisheit: Wenn wir etwas auf Facebook posten … ja, erstaunlicherweise findet das dann auf Facebook statt <IronieModusAus>

Zweitens – welche Benimm-Regel soll damit rübergebracht werden? Es gibt ja Regeln, die sind eindeutig und für jeden klar erkennbar. „Man bohrt nicht in der Nase!“ – ist ganz klar, versteht jeder.

Was verstehst Du, wenn Du liest „Wir sind hier auf Facebook“?

In den Fällen, auf die ich mich hier beziehe, scheint die Erwartung ungefähr so zu sein:

„Wenn Du Dich auf Facebook äußerst, gibst Du mir damit den Freibrief, über Dich und Deine Äußerungen herzufallen. Ich darf Dich angreifen, ich darf Dich kritisieren, ich darf doofe / unpassende Bemerkungen über Dich, Dein Äußeres, Deine Familie, einfach ALLES machen. Ich muss mich dabei weder um einen anständigen Tonfall, noch um Richtigkeit meiner Äußerungen bemühen.“

(um Rechtschreibung natürlich auch nicht – aber das lassen wir jetzt mal außen vor).

In aller Kürze und Deutlichkeit: NEIN. Dieses Verständnis halte ich für grottenfalsch, für gefährlich und für dumm.

 Facebook bietet (auch) eine Plattform für Diskussionen. Durchaus für offene, auch für harte Diskussionen. Darin besteht „eigentlich“ der Wert von Facebook. Ich kann hier Meinungen / Informationen austauschen. Ich kann lernen, wie andere Menschen über bestimmte Sachverhalte denken, warum sie was gut oder eben nicht gut finden. Kommen solche Diskussionen zustande, sind sie für mich immer wertvoll – und fördern tatsächlich meinen Erkenntnisgewinn.

Diese Diskussionsfunktion gibt natürlich niemandem das Recht, sich dann den oben beschriebenen Freibrief auszustellen und fröhlich (oder zornig …) herumzupöbeln. Es ist nicht zielführend, es ist nicht schlau, es ist nicht intelligent, es ist nicht hilfreich, es bringt nichts und niemanden weiter.

Kurze Klarstellung: Das Vorgehen, alles, was justiziabel ist, auch zur Anzeige zu bringen, halte ich für richtig. Wer Morddrohungen ausstößt, wer andere öffentlich beleidigt, der darf sich dafür bitte vor Gericht verantworten. Um diese Auswüchse geht es mir hier nicht (mehr) – da ist schon längst Hopfen und Malz verloren. Hetzern jeglicher Couleur darf die Justiz das Handwerk legen. Das passiert immer wieder, und das ist auch gut so.

Warum passiert das überhaupt?

Warum tun es so viele trotzdem? Darauf hab ich noch keine endgültige Antwort – ich lese noch 😉

Meine Vermutungen aktuell:

  1. Weil sie es können – und weil wir alle (ja, ich zerre gerade heftig an meiner eigenen Nase) es zulassen.
  2. Weil Facebook „Aufreger“ fördert – hallo, Algorithmus, hier darfst Du Dich gerne weiterbilden. In aller Kürze: was viele Reaktionen bekommt, wird von Facebook besser ausgespielt – ob das „gute“ Reaktionen sind oder ob sich da Leute übelst beschimpfen, ist zweitrangig.
  3. Weil intelligente Stimmen damit mundtot gemacht werden können (in mindestens einem Fall weiß ich von einem totalen Rückzug einer höchst geschätzten intelligenten Stimme).
  4. Weil die Idee „wer am lautesten brüllt, hat recht“ offenkundig immer noch Anhänger/innen hat.
  5. Weil die Äußerung dem widerspricht, was man selbst für richtig oder für opportun hält.
  6. Weil man sich nicht mit dem Argument auseinandersetzen möchte (oder kann …) – rumpöbeln ist dann offenkundig lustiger. Oder einfacher.
  7. Weil man sich selbst grad sch… also, schlecht fühlt. Dann ist Trollen eine Methode, sich selbst besser  zu fühlen. Das hat Eva in den Kommentaren ergänzt – erst war ich leicht überrascht. Dann … fiel mir ein: wie oft bin ich selbst schon nach Hause gekommen und habe Streit gesucht. Weil es mir sch… ging und ich das loswerden wollte. Natürlich funktioniert das auch auf Social Media 🙂 
  8. Weil die Äußerung von jemandem bzw. einer Institution kommt, die man selbst auf der „denen glaube und traue ich nicht“-Liste hat. Dann wird mehr oder weniger automatisch draufgehauen.
  9. Weil das Tippen von Beleidigungen und Angriffen so wunderbar unpersönlich ist. Ob sich jemand trauen würde, mir direkt ins Gesicht zu sagen (beim ALLER-ersten kurzen Gespräch, wohlgemerkt!): „Aber haste keene Ahnung Frauke. Dit war mir klar.“? Ich glaube nicht 🤣
  10. Weil die scheinbare Anonymität wohl bei einigen Menschen die Hemmschwelle deutlich senkt, mit „Rumgetrolle“ ihre eigenen Aggressionen abzubauen (danke, Beatrice, für die Ergänzung!)
  11. Und ich fürchte – es gibt Menschen, denen macht das Spaß, die finden das witzig.

Wichtig ist mir an dieser Stelle: in „meiner“ Filterblase ist der Umgangston zu 99,9% so, wie ich ihn mir wünsche: wertschätzend, offen, freundlich, fair.  Was zu einem Teil sicherlich auch daran liegt, dass ich mich auf Social Media aus kontroversen Themen („no sex, no religion, no politics“) bewußt heraushalte.

Ein harmloses Beispiel für „solche“ Kommunikation

Dieses (harmlose) Beispiel zeigt aber recht gut, wie solche Diskussionen ablaufen können. Es war ein Test – ich habe bei einem Kommentar zu einem Post auf der Facebook-Seite von Jens Spahn eine Rückfrage gestellt. 

Frauke Schramm Social Media Mutmacherin Blog Wir sind hier auf Facebook Beispiel

Der Wortwechsel zeigt den Mechanismus recht gut, dem viele dieser „Unterhaltungen“ folgen: 

Jemand (E.) tätigt eine Äußerung.

P., der E. gar nicht kennt, sondert eine Empfehlung ab, die im echten Leben schon als sehr dreist gelten würde.

Ich frage, was die Äußerung mit der Empfehlung zu tun hat.

P. kanzelt mich ab.

Auf meine spöttische Antwort geht P. nicht mehr ein.

Entscheidend dabei: es geht nicht um die Sache, P. wechselt sofort auf die persönliche Ebene (und nochmal – was P. hier äußert, ist vergleichsweise harmlos). Ziel ist, die Diskussionspartner/innen mundtot zu machen (jedenfalls gehe ich davon aus – was sonst will er damit erreichen?).

Bringt uns das weiter? Mit uns meine ich an dieser Stelle „die Gesellschaft“ insgesamt, aber auch die kleine Gruppe an Menschen, die da auf einem sozialen Netzwerk in einen Dialog einsteigt.

(Disclaimer: ich hab nicht wirklich damit gerechnet, dass P. mir eine gehaltvolle Antwort gibt – stellt euch aber mal vor, er hätte es getan? Vielleicht hätte er einen Punkt zum Vorschein gebracht, der tatsächlich eine fruchtbare Unterhaltung möglich macht?)

Natürlich nicht. Und DAS ist der eigentliche Schaden, der dadurch entsteht. Dass ich dafür kein Rezept zur Abhilfe habe, finde ich äußerst schade; was mich beruhigt: ich befinde mich damit in bester Gesellschaft.

Was können wir jetzt, HIER, HEUTE tun?

Hier habe ich zusammengestellt, was mir beim Schreiben dieses Artikels alles eingefallen ist. Und ich bin ganz sicher, ich hab was vergessen – wenn Du es im Kommentar ergänzt, füge ich es gerne hier noch ein!

 

  1. Wir können denen entgegentreten, die sich danebenbenehmen. Wenn in den Kommentaren zu einem Post einer Facebook-Freundin von Dir ein Troll auftaucht, halte dagegen. Bemühe Dich, sachlich zu bleiben. Geht das nicht, werde ironisch. Begib Dich bitte nicht auf das Niveau der Trolle !! Damit würdest Du sie bloß bestätigen.
  2. Wir können bösartige Kommentare melden – dazu klickst Du auf die drei Punkte … und wählst „Feedback geben oder diesen Kommentar melden“ aus. Von dort aus folgst Du den Facebook-Anweisungen. Damit ist ein Troll nicht sofort von Facebook verbannt, aber wenn das öfter vorkommt, kann das durchaus passieren. Bitte nutze das für echte Entgleisungen. Jemand, der eine andere Meinung als Du vertritt, ist NICHT per se bösartig 😊
  3. Wir können uns selbst um einen freundlichen, wertschätzenden, offenen, klaren Diskussionsstil bemühen. Wir haben ALLE mal den berühmten schlechten Tag – das meine ich nicht 😊 Woran Du beim Schreiben von Kommentaren immer denken darfst: ich sehe nur, was Du geschrieben hast. Ich höre nicht Deine Stimme, ich sehe nicht Dein Gesicht. Das ist insbesondere für Ironie schlecht – und öffnet Missverständnissen ganz schnell die Tür.
  4. Wir können uns immer wieder die Frage stellen – verstehe ich das richtig? Oft ist etwas nur schräg oder ungeschickt formuliert und kein bißchen böse gemeint. Steigen wir dann darauf ein, kann es schnell eskalieren. Davon auszugehen, dass normalerweise normale Leute etwas ungeschickt formuliert haben, kann Eskalationen sehr früh entgegenwirken.
  5. Wir können jemanden, der angegriffen / angepöbelt / blöd angemacht wird, eine private Nachricht schicken. Selbst wenn da nur drin steht „Doof, was bei Dir grad abgeht – ich drück Dir die Daumen und denk an Dich!“ – damit sagst Du: ich habs gesehen, finds doof und stehe an Deiner Seite. Glaub mir, sowas kann den Unterschied machen.
  6. Wir können immer wieder mal rückfragen – Wie meinst Du das? Das ist eine der stärksten Waffen, die wir tatsächlich alle haben. Wer sich „nur“ im Ton vergriffen hat, wird daraufhin möglicherweise sachlicher antworten. Wer tatsächlich schlicht pöbeln will, reagiert entweder gar nicht oder pöbelt weiter. In beiden Fällen enttarnt er sich (warum fallen mir jetzt die Warbirds der Romulaner ein, die sich da plötzlich … ich schweife ab … ).
  7. Wenn Du einer Falschmeldung aufgesessen bist: lass das mit den Selbstvorwürfen, bitte. Falschmeldungen sind meistens gut gemacht, und Du KANNST nicht alles wissen / kontrollieren. Oder Du verlässt Dich auf eine Quelle, der Du vertraust. Für diese Quelle gilt das Gleiche – niemand blickt immer und überall durch ❤
    Entweder löschst Du den Beitrag / Kommentar, oder Du änderst ihn entsprechend ab. Löschen tust Du, wenns komplett daneben ist – abändern, wenn Du eine Korrektur oder zweite Meinung mit rein packen kannst. Verlass Dich auf Dein Bauchgefühl! Und ja, bevor Du Dich mit Trollen amüsieren musst, darfst Du einen Beitrag von Dir einfach löschen. Es ist DEIN Beitrag ❤
  8. Wir dürfen alle überlegen, wie wir Facebook haben wollen. „Wir sind hier auf Facebook“ gilt ja nicht nur für Pöbler, Trolle und so – es gilt auch für mich und Dich. Und gibt uns damit ebenfalls Gestaltungsmacht, die wir nutzen können.
  9. Wir können in Diskussionen andere Meinungen gelten lassen. OHNE dann gleich den Menschen, der eine andere Meinung hat, komplett als … abzustempeln. Ich mag lieber Schokolade als Vanille – na und? Nur wenn Du jetzt lieber Vanille magst … musst Du deswegen beschließen, dass ich ja sowas von DOOOOOOOF bin? Musst Du nicht (unter uns: es wäre einigermaßen lächerlich …).
    Dir fallen sicherlich Beispiele ein, wodurch Du Schokolade und Vanille ersetzen kannst – ist es wirklich richtig / vernünftig / wertschätzend, aus einem Meinungsunterschied ein getrenntes Tischtuch zu machen?
    Klingt unbequem? Ist es. Ich sage auch nicht, dass Du alles klaglos ertragen musst. Sollten wir allerdings damit weitermachen, uns immer nur mit Menschen zu umgeben, die die gleiche Meinung wie wir selbst haben, wird unser Leben langweiliger, die eigene Filterblase immer kleiner – und auf Dauer ist das für die gesamte Gesellschaft ein Brandsatz.
Frauke Schramm Social Media Mutmacherin Blogartikel Wir sind hier auf FAcebook Bild 2

„Wir sind hier auf Facebook“ bedeutet nicht, dass wir uns alles gefallen lassen müssen. Es bedeutet aber auch nicht, dass wir hinter jedem Stöckchen herrennen müssen, das uns jemand hinwirft.

„Wir sind hier auf Facebook“ verstehe ich als Aufforderung an uns alle, für einen wertschätzenden, offenen, fairen Umgangston mitzusorgen. Wie so oft – wenn jedeR von uns seinen / ihren Anteil daran tut, kommt unterm Strich was Anständiges dabei raus. Der gute alte Spruch „So wie Du in den Wald hineinrufst, so schallt es wieder heraus“ hat immer noch Gültigkeit.

Die „Idee Facebook“ oder auch soziale Netze allgemein ist / sind viel zu großartig, um sie nicht aktiv zu nutzen. Allerdings brauchts uns alle dafür, damit diese Idee ihr positives Potential entfalten kann. Dass das klappen kann, erlebe ich jeden Tag. Dass auch die Hinwendung zum Destruktiven über Facebook hervorragend vorangetrieben werden kann, leider auch.

Klar haben wir alle mal schlechte Tage, klar teilen wir mal Dinge, die sich hinterher als zumindest fragwürdig herausstellen. Wär ja noch schöner, wenn wir plötzlich unfehlbar wären 😊 „Sowas“ passiert. Das heißt aber nicht, dass wir nicht morgen wieder uns an die Arbeit machen können, um den Satz „Wir sind hier auf Facebook“ in unserem Sinne Realität werden zu lassen.

Wir haben die Wahl – mit jedem Post, den wir schreiben, mit jedem Post, den wir nicht schreiben. Mit jedem Kommentar. Jeden Tag aufs Neue. Mit der Wahl kommt die Verantwortung. Das haben wir mit unserer Anmeldung auf sozialen Netzwerken akzeptiert. Machen wir was draus!

Jetzt Du – Deine Meinung interessiert mich. Wie siehst Du das? Was heißt „Wir sind hier auf Facebook“ für Dich? Oder wie gehst Du mit Trollen, Pöblern, schlicht … Idioten auf Facebook um? Das Kommentarfeld gehört Dir – hau rein:

Frauke Schramm