Viel ist schon gesagt worden zum Thema „Social Media Auftritt in Zeiten des Krieges“. Bei unserem letzten Ausflug dachte mein Hirn so müßig vor sich hin … soll ich zum Krieg in der Ukraine auch noch was schreiben? Es gibt ja schon den Artikel „Hygiene“ … reicht das nicht?
Nein, es reicht nicht. Diese Erkenntnis versteckte sich in einer kurzen Begegnung.
Es ist ein offenes (SEHR offenes …) Geheimnis – wenn ich unterwegs Hunde treffe, nehm ich gerne Kontakt mit dem Vierbeiner auf. In diesem Fall war es ein sehr kleines Hündlein, auf dem Arm seines Frauchens. Das war eine ältere weißhaarige Dame, die ein wenig verloren wirkte und ihr Hündchen in seiner hellblauen Fleecedecke fest hielt.
Ich lächelte ihr zu, ich hielt Klein Wuff die Hand hin – die Reaktion des Hündchens war zwar aufgeregt-interessiert, aber auch ängstlich. Also zog ich meine Hand zurück und sagte „Oh, Du hast Angst, kein Problem!“. Meistens sagen die Hundehalter/innen dann sowas wie „das ist ein kleiner Angsthase“ und es ergibt sich ein kurzer, netter Dialog – darauf war ich eingestellt.
Es kam dann anders. Frauchen gab mir durch Schulterzucken und Mimik zu verstehen, dass sie mich nicht versteht. Und dann sagte sie genau ein Wort: „Ukraine“.
Ich sagte wieder „Oh“ – und dann sagte ich nur noch „Welcome. Good to have you here.“ Und lächelte sie an. Sie lächelte kurz und verhalten zurück. Ob sie mich verstanden hat? Vermutlich nicht – jedenfalls nicht meine Worte. Ob sie meine Körpersprache verstanden hat? Ich wünsche es mir sehr.
Was diese kurze Begegnung mit mir machte
Wir gingen weiter. Ich kämpfte mit den Tränen – die arme Frau, der arme kleine Hund! Stehen hier in einem Park, einem der Ausflugsziele in Stuttgart, rings um sie herum Familien, Kinder, Paare, die ihren Sonntag genießen. Und sie musste mit ihrem Vierbeiner aus ihrer Heimat fliehen. Ich weiß nix, gar nix über sie, nur das, was mir ihre Körpersprache und ihre Stimme verraten haben.
Mein Eindruck: ein großer Zwiespalt. Einerseits die Sehnsucht nach dieser normalen Welt, das Staunen über einen schönen Frühlingssonntag mit Sonne und Park. Andererseits Erinnerungen an etwas, was nicht normal ist (denn egal unter welchen Umständen sie die Ukraine verlassen hat – normale Umstände dürften es kaum gewesen sein). In der Frühlingssonne zu stehen inmitten unbeschwerter Menschen und gerade aus einem Kriegsgebiet geflohen zu sein, das dürfte sich ziemlich surreal anfühlen.
In diesem Moment wusste ich: diesen Artikel muss und will ich schreiben.
Auch ich spüre einen Zwiespalt in mir. Einerseits den nach „Normalität“, durchaus auch nach „Business as usual“. Und dann die andere Seite – geht das? Während russische Truppen in die Ukraine eindringen? Während in der Ukraine die Infrastruktur zerstört wird und Millionen von Menschen fliehen? Während eine ältere Dame verloren mit ihrem Hündchen auf dem Arm im Park in der Sonne steht?
Für mich sieht die Sache so aus: diesen oder ähnliche Zwiespalte haben die meisten von uns, mal mehr, mal weniger, hoffentlich auch einfach mal ne Runde gar nicht. Corona war / ist ein Beispiel dafür. Aber es gibt ja auch ganz individuelle Krisen – Kind krank (vielleicht sogar lebensbedrohlich?). Du selber krank? Du verlierst jemanden, der Dir sehr wichtig ist?
Und dann? Business as usual? Gibt’s da EINE, eine einfache Antwort drauf?
Nein. Gibt es nicht. Es sind so viele Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Lass uns mal auf ein paar davon draufschauen.
- Was schickt sich gerade – und was geht einfach nicht?
- Wie geht es Dir mit der aktuellen Situation? Wie stark ist Deine Belastung? Psychisch – oder vielleicht auch ganz real, weil Du für jemand anders da sein musst oder willst?
- Was ist in Deinem Business gerade „dran“ – willst oder musst Du etwas anpassen?
- Was brauchen Deine KundInnen JETZT von Dir?
- Kannst Du an der aktuellen Situation aktiv etwas ändern?
- Wie stark bist Du gefordert?
- Wieviel Kraft brauchst Du gerade für Dich? Für Selfcare?
Was geht einfach gar nicht?
Das ist noch verhältnismäßig einfach zu beantworten. Was gar nicht geht, sind Posts oder Artikel, die aus dem Elend von leidenden Menschen Profit schlagen wollen. Wenn Du an die Sixt-Autovermietungswerbung denkst … die beherrschen den Balanceakt zwischen „witzig“ und „neeeeee“ meistens ziemlich gut (meistens – es geht durchaus mal daneben). Dazu gehört eine ganz bestimmte Haltung, die Du noch dazu perfekt darstellen können musst. Hier gilt: wenn Du Dir nicht 100% sicher bist – lass es. Bitte.
Deine persönliche Betroffenheit
Hier steht ganz bewusst „persönlich“. Denn was Dich aus den Latschen haut, lässt mich vielleicht total kalt. Und umgekehrt. Bitte, lass Dir da nicht einreden, Du dürftest oder solltest aber nicht „so stark betroffen sein“! Es ist, was es ist. Nimm es an und geh damit um.
Wenn Du Verwandte in der Ukraine hast – wer bitte darf dann von Dir verlangen, dass Dir deren Schicksal wurschtegal ist? Andererseits, wenn Du ein Mensch bist, der sich gut abgrenzen kann – wer darf Dir dann vorwerfen, Du hättest ja kein Herz?
Es GIBT hier kein Richtig oder Falsch.
Du darfst empfinden, was Du nun mal empfindest. Du darfst aber auch entscheiden, wieviel Du davon nach außen tragen willst und was Du für Dich behältst. Und Du darfst auch entscheiden, wieviel Normalität vielleicht gerade jetzt für Dich und die Menschen um Dich herum gut wäre.
Was ist in Deinem Business gerade aktuell? Bist Du in einem Launch?
Auch hier darfst, musst und kannst Du abwägen. Es muss für Dein Unternehmen und Dich passen. Wenn andere Menschen von Dir abhängen, trägst Du auch für sie Verantwortung. Musst Du jetzt Deinen Launch abbrechen? Wenn Du das nicht von Dir aus willst – nein. Achte aber genau auf Deine Kommunikation und auf die Bildsprache. „Party“ kann in akuten Krisensituationen mißverständlich rüberkommen.
Ob Du die Situation ansprichst und wie – das kommt darauf an. WAS für ein Launch ist es? WER fällt in Deine Zielgruppe? WAS brauchst / willst Du? Auch hier – es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt ein Zuviel, ja. Wenn Du auch nur ansatzweise ein fühlender Mensch bist mit entsprechenden Werten, dann spürst Du ganz genau, wo dieses Zuviel erreicht ist.
Was brauchen Deine KundInnen jetzt von Dir?
Was kannst Du geben? Wozu fühlst Du Dich verpflichtet – was ist Dir gerade zu viel? Das ist natürlich auch branchen- und situationsabhängig und darf entsprechend angepasst werden. So wie Corona in den letzten zwei Jahren quasi omnipräsent war, ist es jetzt der Krieg in der Ukraine. Das Bedürfnis, sich darüber auszutauschen ist normal. Du darfst aber entscheiden, wie tief DU dabei gehen magst / kannst / willst.
Oder ob eventuell auch bewußtes Auswählen anderer Themen Dir und Deinen KundInnen gut tut. Wir alle brauchen unsere Kräfte noch ein Weilchen, dieser Krieg und vor allem seine Auswirkungen werden nicht über Nacht vorbei sein.
Kannst Du an der aktuellen Situation aktiv etwas ändern?
Eine der wichtigsten Fragen – und auch die darfst Du nach Deinen Möglichkeiten beantworten. Wenn Du etwas tun kannst, dann tu es. Berücksichtige aber dabei realistisch, was geht und was Du verkraftest. Wenn Du Dich total überforderst, ist niemandem geholfen! Wenn Du aktuell nichts tun kannst, dann warte ab – es wird noch genügend Gelegenheiten geben, da bin ich mir sicher.
Wie stark bist Du gefordert?
Das war in der Corona-Krise klar zu erkennen. Als ich Mitte März 2020 alleine (mein Mann durfte mich nicht begleiten) in der Notaufnahme des Krankenhauses saß (Vorsichtsmaßnahme des Hausarztes – war nix Schlimmes), hingen dort Schilder „Wir bleiben hier – bleibt ihr zuhause!“. Das war damals das, was ich tun konnte. Wäre ich Ärztin, wäre das ganz was anderes gewesen.
Wenn Du Angehörige versorgst oder betreust, braucht das möglicherweise Deine ganze Kraft und Energie. Auch für diesen Punkt glaube ich nicht, dass es ein allgemeingültiges „SO macht man das!“ gibt. Das ist so individuell – bitte, triff für Dich und Deine Liebsten Entscheidungen, die für euch passen. Der Rest der Welt und deren Meinung dazu darf Dir ganz einfach egal sein.
Egal welche Krise: es gibt keinen allgemeingültigen Maßstab, wie „man“ damit umzugehen hat. Wie stark Du involviert bist, hängt von vielen Faktoren ab – und Du darfst die berücksichtigen und die für Dich (und ggfs. Deine Liebsten) beste Lösung suchen.
Wieviel Kraft brauchst Du gerade für Dich? Für Selfcare?
Das ist vielleicht sogar die wichtigste Frage. Niemand, wirklich gar niemandem ist damit gedient, wenn Du zusammenklappst. Denk mal an die Sicherheitsanweisungen vor einem Flug – wem sollst Du die Sauerstoffmaske zuerst aufsetzen? Genau, Dir selbst. Denn nur wenn Du gut versorgt bist, kannst Du anderen wirklich helfen.
Und was tust Du jetzt konkret?
- Achte noch ein bisle besser auf Dich. Und auf Deine Liebsten. Nimm die Gefühle wahr, die da sind. Verdräng sie nicht (klappt ja sowieso nicht …).
- Dann überlegst Du, wie Du Dich in der aktuellen Situation wohler fühlen könntest. Das nimmst Du als Ansatzpunkt, von dort aus handelst Du. Anderen zu helfen führt dazu, dass es uns selbst besser geht – einer der wundervollsten Eigenschaften von uns Menschen.
- Sei nett zu Deinen Mitmenschen. Ist sowieso immer ne gute Idee – aktuell kann ein freundliches Lächeln auf einen anderen Menschen heilsame Wirkungen haben.
- Sei vorsichtig mit den Informationen, die Du teilst oder weitergibst. Auch etwas, was immer wichtig ist …in Situationen, die eher unklar sind, ist das noch wichtiger. Wenn Du Dir nicht sicher bist: teile es nicht! Die Diskussionen sind aufgeheizt genug, das müssen wir nicht noch mehr anfeuern.
- Falls Du mit vorgeplanten Beiträgen auf Social Media arbeitest – prüf sie einmal durch. Wenn Dir etwas als nicht passend erscheint, plane den Beitrag für später ein.
- Wenn Du konkret helfen kannst oder magst, tu es. Und wenn Du darüber erzählen magst, tust Du das. Damit hilfst Du auch anderen Menschen, nach ihren Optionen zu suchen, wie sie helfen könnten. In diesen Situationen sind wir alle Vorbilder für unsere Mitmenschen.
Wenn wir ein Business haben – sind wir Vorbilder für unsere KundInnen. Stell keine Forderungen „Du musst jetzt aber!“ – erzähl mir einfach, was Du tust. Wirkt viel besser (und sympathischer isses auch). - Wenn Du Dein Business zur Hilfe einsetzen kannst und willst, dann tu das. Bitte erzähle uns unbedingt davon! Das ist positives Marketing für Dein Business, das Du auf jeden Fall nutzen darfst. Warum? Weil Du damit zeigst, wofür Dein Business (auch) steht.
- Lass Dich nicht verunsichern von Menschen, die jetzt sehr aktiv sind. Wir sind alle unterschiedlich – und jedeR tut, was sie / er kann. Wenn jemand in Gespräch oder auf Social Media Forderungen an Dich stellt, darfst Du ablehnen. „Man muss jetzt“ ist keine allgemeingültige Aussage, sondern sagt lediglich, was jemand anders jetzt gerade für wichtig und richtig hält. Das heißt nicht, dass Du auf diesen Zug aufspringen musst, wenn Du nicht willst oder nicht kannst!
Welche Ideen möchtest Du noch ergänzen? Was ist Dir aktuell wichtig? Ich freu mich auf Deine Nachricht – das Kommentarfeld gehört Dir:
Liebe Frauke… Ich bin bewegt und berührt, fühle mich verstanden und gestärkt von deinem Artikel. Danke, danke, danke für deine Ehrlichkeit. Dafür, dass du schreibst, wie es dir gerade geht und welche Schlüsse du daraus ziehst. Und für deine Erinnerung: Dass wir gut auf uns selbst aufpassen müssen und meistens ganz gut spüren, was für uns jetzt möglich ist und was nicht. Trotzdem wach bleiben, und aufmerksam, und die Gelegenheiten ergreifen, wenn sie sich bieten, um zu unterstützen wo frau kann. Danke. Liebe Grüße, Gabi